Über Berufung: Ein Brief vom Apostel Matthäus

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Gedankenimpuls zu Mrk 3,13-19

Ich bin Matthäus, ein ehemaliger Steuerbeamte. Ich schäme mich aber nicht, dazu zu bekennen, auch wenn in meiner Zeit Menschen, die solchen Beruf ausüben, keinen besonderen guten Ruf genossen. Der Apostel Bartholomäus genannt Natanael würde im Bezug auf meine Vergangenheit sofort sagen: Kann von ihm etwas Gutes kommen? Kann aus ihm etwas werden? Im möchte keine Antwort geben. Warum? Das verrate ich später. Aber ich meine, meine Vergangenheit gehört zu meiner Lebensgeschichte und somit zu meiner Berufungsgeschichte. Anders als Markus habe ich in meinem Evangelium in die Liste der Apostel, die wir gehört haben, hinter meinen Namen noch Zöllner eingefügt. Hat's jemand gemerkt?

Aber das Stichwort Berufungsgeschichte. Sie kennen wohl die Geschichte, wie ich mit Jesus in Berührung kam. Jesus war zufällig in meinem Büro vorbei, und machte mir das Angebot, ein Abenteuer mit ihm anzufangen. Sie können es nicht vorstellen, wie schwer es mir war, meinen Beruf aufzugeben. Ich verdiente gut, und ich sah nicht ein, warum ich meine Zukunft ins Spiel setzte, nur um ihm ein Gefallen zu tun. Außerdem war ich nicht sicher, ob ich aus Beamtenstand stammend mit seinen Männern da zurechtkam. Bis dahin hatte er nur schmützige Fischer in der Gefolgschaft. Einer von ihnen war ein Mann von groben und impulsiven Charakter, der sogar bei Streit sofort zuzuschlagen und zuzustechen. Erinnern Sie nur an das Geschehen bei der Gefangennahme Jesu in Getsemani (Mt 26,51; Lk 22,50). Aber der Blick, ja der Blick auf Jesus gab mir immer wieder den Mut, meine eigenen Ängste zu überwinden. Irgendwie hat uns der Blick auf ihn zusammengehalten. Dadurch, daß wir alle auf ihn schauten, auf ihn Bezug nahmen und ihn in die Mitte unserer Gemeinschaft stellten, wurden die Unterschiede zwischen uns Jüngern zwar nicht aufgehoben, aber überwunden.

Doch alles war für uns nicht so glatt verlaufen. Ich meine, das geistliche Leben ist nicht mit einem Schnellkurs zu machen. Einen solchen Schnellkurs haben wir bei Jesus gemacht. Und in der Tat habe ich auch dabei viel gelernt, so daß Jesus mit mir einen Schritt wagte, mich in den engeren Kreis der Zwölf zu berufen (Mt 10,1-4). Doch später mußte ich feststellen, daß das alles nur der Anfang eines langen Lernprozeßes war. Ehrlich gesagt: die Person Jesu, seine Botschaft und seine Tat haben wir nur Stückchenweise begriffen. Oder sogar manchmal mißverstanden! Auf diese Tatsache hat auch Markus in seinem Evangelium immer wieder hingewiesen. Am eindrucksvollsten ist die auf das Messiasbekenntnis gipfelnde Geschichte im Kapitel 8. Beim Messiasbekenntnis des Petrus hat man den Eindruck, daß die Jünger endlich Jesus erkannt haben. Doch gleich darauf (Mk 8,31-33) macht markus deutlich, daß dies nicht der Fall war. Kurz: für uns war es nicht nur ein langer Lernprozeß, im Glauben zu wachsen und Jesus als unseren Herrn zu erkennen und zu bekennen. Es war viel länger als wir uns es vorgestellt haben. Deshalb war auch mein Zögern, auf die rhetorische Frage von Natanael Antwort zu geben.

Nun, warum will ich von unserer Berufungsgeschichte noch erzählen? Ich nehme an, daß man heute seine Lebens- bzw. Berufungsgeschichte nicht leichter schreibt als wir früher, auch wenn heute Hilfe dazu in reichem Maße zur Verfügung steht. Doch ich bin optimistisch. Dabei denke ich an einen Besuch in Indonesien. Ich bin beeindruckt von der Begeisterung der Menschen dort für das Evangelium: von ihrer verblüffenden Schnelligkeit fast Leichtfertigkeit, es ihren modernen Lebensweisen anzupassen. Der Glaube gehört zu dem täglichen Leben und nicht einer Freizeitbeschäftigung. Und das gefällt mir. Kein Wunder, daß das Evangelium dort -schneller als man es wahrnimmt- das indonesische Gesicht angenommen hat. Das beste Beispiel dafür ist natürlich das Christentum auf Java. Ich wünsche mir nur, daß dieselben Züge sich auch in der Ordensausbildung zeigen. Denn hier besteht die Gefahr, daß man durch künstliche handliche Eingriffe von dem Boden der eigenen Kultur abhebt.

Nehmen wir als Beispiel die javanische Kultur. In diesem Kulturkreis gilt z.B. die Vereinigung mit Gott als das letzte Ziel der religiösen Bemühungen. Der Weg, den der Javaner dabei geht, ist der des Innen-Gehens. Das Vorbild aus der Götterwelt gilt hier die Gestalt Arjunas aus dem Mahabrata-Epos, die immer wieder im wayang-Schattenspiels vorkommt, und auf den Batik-Tüchern oft dargestellt wird. Der Auffassung der javanischen Mystik gelangt man zu einer Vereinigung mit Gott durch die Meditation. In dem der Mensch, sich aufs Innen, auf die Dimension, in der wahren Kräfte der Wirklichkeit ihren Ursprung haben, konzentriert, stoßt er zum eigenen Innersten selbst vor. Die Meditation dient also dazu, die innere Stärke zu gewinnen, und letztendlich die Vereinigung mit Gott zu erlangen. Hier zeigt sich der pragmatische Charakter des religiösen Bemühens eines Javaners. Denn diese Kraft gewährt es schließlich ihm, mit seinen Aufgaben in diesem Leben besser fertig zu werden. Hier also hat eine Javaner keinen Nachholbedarf. Man braucht auch keine besondere Überzeugungsarbeit. Die einzige Herausforderung ist, dieses Bemühen mit christlichen Glauben zu füllen. Und so hat man eine günstige Ausgangslage, die eigene christliche Berufungsgeschichte zu schreiben.

Das ist aber nur eines von einigen Elementen, die das Wachstum im Glauben begünstigen. Hier brauche ich nicht alles aufzuzählen. Sonst droht dieser Brief, zu lang zu werden. Ich möchte nur sagen, daß ich fasziniert bin von der Fähigkeit der Javaner, den christlichen Glauben so zu verinnerlichen, daß viele von ihnen keine Schwierigkeit haben, sich mit Christentum zu identifizieren. Ich wünsche mir nur, daß dieser Nährboden nicht von "rationalistischen" Düngemittel verseucht wird. Denn, wie ein Jesuitenpater mal geschrieben hat, "Für den Javaner erweist sich ein Glaube nicht durch logische Konsistenz oder durch den theoretischen Aufweis seiner Vernünftigkeit als richtig, sondern dadurch, daß er sich in ihm am rechten Ort findet. Wahr ist ein Glaube für den Javaner dann, wenn er ihn als gut empfindet, ihn als helfend, heilend und Lebenskraft spendend erfährt. Theoretische Belehrungen lassen ihn unberührt. Das Ereignis des Glaubens muß ihm vielmehr für die Aufgaben in dieser Welt Kraft und Sicherheit geben."

Jetzt möchte zu Ende kommen. Oben habe ich klargestellt, daß wir die Person Jesu, seine Botschaft und seine nur allmählich und einen sehr langen Prozeß kennenlernen konnten. Es streckt sich bis zu seiner Himmelfahrt und darüber hinaus. Und ich bin mich nicht sicher, ob dies nur bei uns der Fall war. Zuletzt möchte ich auf den Punkt zurückgehen, den ich oben bereits gesagt habe. Der Blick, ja der Blick auf Jesus gab mir immer wieder den Mut, meine eigenen Ängste zu überwinden. Irgendwie hat uns der Blick auf ihn zusammengehalten. Dadurch, daß wir alle auf ihn schauten, auf ihn Bezug nahmen und ihn in die Mitte unserer Gemeinschaft stellten, wurden die Unterschiede zwischen uns Jüngern zwar nicht aufgehoben, aber überwunden. Ich wünsche Ihnen ein gutes Gelingen in der Gestaltung ihrer eigenen Berufungsgeschichte.

Ihr Matthäus, März 2000

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